Lehrerwunschbild

Wie wünschen sich SchülerInnen ihre LehrerInnen?

Oder: Schülerkognitionen hinsichtlich der idealen Lehrperson



1 Problemstellung

Kutnick & Jules (1993) geben zwei Gründe an, weshalb es wichtig sei, die Schülerkognitionen hinsichtlich guter Lehrkräfte zu kennen: Zum Einen sei es für Lehrpersonen wichtig, die Erwartungen der SchülerInnen zu kennen, um sie in ihrem Verhalten zu berücksichtigen. Zum anderen erlaubten sie einen Blick in die innere Welt und Überzeugungen der SchülerInnen, die das SchülerInnenverhalten zumindest mit steuerten.
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich die Wahrnehmungs- bzw. Deutungsmuster (Kognitionen) individuell unterschiedlich gestalten und auch entwickeln und es für die Theorieentwicklung als auch für die Unterrichtspraxis von Bedeutung ist, von welchen Faktoren diese Entwicklung und individuelle Ausprägung abhängig ist. Dies an der Lehrer-Schüler-Beziehung zu untersuchen schein deshalb sinnvoll, weil alle SchülerInnen differenzierte Erfahrung mit dieser Beziehung haben. Außerdem sollten im Sinne eines Erwerbs sozialer Kompetenzen diese Wahrnehmungs- und Deutungsmuster selbst einer bewussten Diskussion unterzogen und damit Gegenstand des Unterrichtens und der Interaktion werden können. Für das Klassenklima, die Lernmotivation und damit der Leistung von SchülerInnen dürfte es letztlich auch nicht unerheblich sein, in welchem Ausmaß eine Lehrperson dem entspricht, was sie sich unter einer „guten Lehrperson vorstellen.

Trotz dieser offensichtlichen Wichtigkeit wird die Frage, was eine gute Lehrperson ausmacht, - wenn überhaupt - in der Regel von der Lehrerseite bzw. der Schulbehörde her zu beantworten versucht. Die Sicht der SchülerInnen selbst bleibt weitgehend unberücksichtigt (z.B. Beishuizen et.al. 2001). Sofern überhaupt Untersuchungen dieses Aspektes vorliegen, sind es qualitative: Es werden Aufsätze darüber geschieben, wie sich die SchülerInnen ihre LehrerInnen wünschen. Dies ist als Teil der Reflexion von Lehrer-Schüler-Interaktion sicherlich sinnvoll, für wissenschaftliche Untersuchungen hingegen zu umständlich und zeitaufwändig, weshalb zur Beantwortung der Frage, wovon die Schülerkognition und ihre Entwicklung abhängt, ein knappes Instrument zu entwickel ist, das umfangreiche untersuchungen in diesem Bereich ermöglicht.

2 Fragestellung:

  1. Was ist Kindern/Jugendlichen an Lehrpersonen wichtig?
  2. Wovon sind diese Vorstellungen abhängig (Alter, Geschlecht, Erfahrungen und sonstige Merkmale der einschätzenden SchülerInnen, Zeit- und Kulturhintergrund)?
  3. Wie wirken sich diese Vorstellungen auf das SchülerInnen-Verhalten aus?
  4.  Wie verändern sich die Vorstellung von der guten Lehrperson im Laufe der Entwicklung der SchülerInnen?
  5. Wie gut sind Lehrkräfte über die Wunschvorstellungen ihrer SchülerInnen informiert und worin weichen sie absichtlich aufgrund ihrer Erziehungsziele oder unabsichtlich von diesem Ideal ab?
  6. Wie können sich Lehrkräfte mit den Schülerkognitionen auseinandersetzen

3 Untersuchung:

Auch wir haben im Vorfeld der nachfolgend zu schildernden Befragung qualitative Analysen durchgeführt. Nach kleineren Vorversuchen wurden bereits 1977 als Basis für eine Entwicklung von Fragebogenskalen jeweils 3 Klassen der Klassenstufe 5 bis 10 (N= 18 Klassen) danach befragt, „wie stelle ich mir meinen (meine) Lehrer(in) vor?. Diese Frage wurde von den SchülerInnen in Zweier- oder Dreiergruppen 10 Minuten besprochen, und es wurde dann von jeder Gruppe auf einem Antwortzettel notiert, was ihnen an einer Lehrperson wichtig ist. Nach Sichtung des Materials ergaben sich 12 als sinnvoll erscheinende Kategorien, in die sich über 95% der Schüleräußerungen von drei unabhängigen Beobachtern mit hoher Übereinstimmung einordnen ließen. In Klammer werden die am häufigsten genannten Einzelmerkmale in abfallender Rangreihe aufgeführt. Die Zahl in der 2. Klammer gibt die Häufigkeit der Erstnennung in dieser Kategorie an, so dass die Gewichtung der jeweiligen Kategorie erkennbar ist - je höher die Zahl, um so öfter wurden Begriffe aus dieser Kategorie als erste genannt):

Persönlichkeit der Lehrperson:

  1. Eigenschaften (nicht zu streng, nett - freundlich, Durchsetzungsvermögen haben, verständnisvoll-Akzeptierend sein, Spaß verstehen, lustig sein, sympathisch sein, kameradschaftlich sein, nicht autoritär sein, nicht schreien) (146)
  2. Äußeres (hübsch, gut aussehen, groß, schlank, sportlich; gepflegt, modisch angezogen)(14)
  3.  Alter (jung sein)(10)
  4.  Politik: (unpolitisch sein, SchülerInnen nicht beeinflussen) (10)

Lehrer-Schüler-Verhältnis
  1. Gerechtigkeit (gerecht sein, keine Bevorzugung, gerechte Noten) (23)
  2. Verständnis (mit den SchülerInnen über Probleme reden, gegenseitiges Vertrauen (17)
  3. Anteilnahme (Feste, Parties mit feiern, privat erreichbar sein) (10)

Unterrichtsgestaltung
  1. Erleichterungen (weniger Hausaufgaben, weniger Strafen, leichtere Arbeiten, bessere Benotung) (18)
  2.  Methodik (interessant, gut erklären, Medieneinsatz abwechslungsreich) (10)
  3. Stoffauswahl (sich nicht stur an den Lehrplan halten, auch andere Themen behandeln, Stoff u. Unternehmungen mit SchülerInnen absprechen) (10)

Ist aus dieser Untersuchung auch erkennbar, welche Kategorien bzw. welche Eigenschaften/Handlungsweisen der Lehrpersonen für SchülerInnen von Bedeutung sind, so sind weitergehende Auswertungen schwierig bzw. unsicher, da die Schülerformulierungen sich teilweise überscheiden.
Aus diesem Grunde entwickelten wir aus dieser Vorlage einen Fragebogen, der durch einige nach Einschätzung von ExpertInnen wichtige Fragen ergänzt wurde. Es entstand ein 5-stufiger bipolarer Einschätzungsbogen mit 52 Items, die sich zum größten Teil mit den Formulierungen decken, die die SchülerInnen in der qualitativen Untersuchung verwandt hatten.
Mit diesem Bogen wurden fünf 9. Realschulklassen befragt, so dass wir über einen Datensatz verfügen, der vor 20 Jahren (1983) erstellt wurde. Daraus ergibt sich die Möglichkeit zur Beantwortung der Frage, in wieweit sich die Erwartungen an die Lehrkräfte über die Zeit verändert haben (Frage 2.9. unter Kap. 4: Auswertung).

In den Jahren 1999 bis 2002 wurden mit exakt diesem Fragebogen dann in der Türkei 300 Neuntklässler (Realschule/Gymnasium) und 328 SchülerInnen in Deutschland (davon fünf 9.Klassen) untersucht. Dieser Teil der Untersuchung ist abgeschlossen und wird demnächst veröffenlicht.

Inzwischen wurden die Daten einer Latent Claster Analysis (LCA) unterzogen, und es wurden - ähnlich wie schon vorher bei der Faktoren-Analyse 10 interpretierbare Claster analysiert und dabei 67% der Varaianz erfasst:
1. Faktor:

2. Faktor:






Mit diesem endgültigen Instrument sollen nun die gestellten Fragen beantortet werden, wobei sich folgendes Untersuchungsdesign ergibt:
3. Untersuchungsdesign:
3.1 Untersuchung in Deutschland (Südbaden)
3.1.1 bei SchülerInnen
Ab der 5. bis zur 11. Klasse sollen alle Schularten mit je 5 Klassen einbezogen werden, so dass insgesamt Daten von 105 Klassen (ca. 2.500 SchülerInnen) analysiert werden können.
3.1.2 bei LehrerInnen / StudentInnen für das Lehramt
Um die von Lehrkräften vermuteten Erwartungen an sie erfasst werden können, soll eine noch nicht festgelegte Anzahl von praktizierenden und in der Ausbidlung sich befindende künftige Lehrkräfte untersucht werden. In wieweit ihre Übereinstimmung/nicht Übereinstimmung als Grundlage eines künftigen Selektionsinstrumentariums für (gute) Lehrkräfte dienen kann, muss noch hinreichend untersucht werden.
3.2. Untersuchung in anderen Ländern:

Um die Universalität/Kulturspezifität der Schülerkognitionen ermitteln zu können, werden in folgenden Ländern Datensätze erhoben (Kontakte bestehen bereits, Untersuchungen laufen teilweise bereits):
Italien, England, Türkei, USA, Schweden/Norwegen. Durch eine Varanzanalyse sollen ermittelt werden, wie groß die kulturbedingte Ausprägung ist.
4 Auswertung:
1. Mittelwert, Standardabweichung insgesamt, so dass sich ein „ideales Lehrerbild aus der Sicht der SchülerInnen insgesamt ergibt
2. Es soll die Abhängigkeit dieses Bildes von folgenden Faktoren untersucht werden, so dass sich eine Differenzierung ergibt:
2.1. Alter/Klassenstufe: Mittelwertprofile/Mittelwertdifferenzen und Faktorenstruktur in den verschiedenen Altersstufen (Zahl und Art der Faktoren)
2.2. Schulart/Leistungsfähigkeit: Mittelwertprofile/-differenzen u. Faktorenstruktur (Differenzierungshypothese)
2.3.Schule: gilt die Schule als reformfreudig, als konservativ oder sonst in irgendeiner Weise klassifizierbar. Liegt sie in einem sozialen Brennpunkt oder in einer bürgerlichen Wohngegend, auf dem Land in der Stadt etc.
2.4. Leistungseinschätzung: die SchülerInnen schätzen sich auf dem Fragebogen selbst ein: „ich gehöre zu den Besten, zum Mittelfeld, ich habe oft Probleme mitzukommen
2.5. Geschlecht: Mittelwertprofile/-differenzen und Faktorenstruktur bei Ju. u. Mä.: Es ist zu erwarten, dass sich Mädchen in manchen Kategorien andere LehrerInnen wünschen als Jungen (in Politik tätig z.B.)
2.6. Selbstbild: Fragebogen zur Selbstsicherheit
2.7. Abhängigkeit von Erfahrungen mit realen LehrerInnen („wie sind deine Lehrer im allgemeinen/überwiegend, „wie sind deine Erfahrungen mit den Lehrkräften an deiner Schule im allgemeinen, schätze sie mit dem nachfolgenden Bogen ein)
2.8. Nationalität: Es werden parallel Untersuchungen in 9. Klassen in der Türkei, Italien, USA und Norwegen/Schweden durchgeführt und die Mittelwerte und die Faktorenstrukturen verglichen.
2.9. Zeit: Die Untersuchung wurde vor 25/17 Jahren bereits durchgeführt und ein Vergleich kann die Frage beantworten, wie stabil die Wünsche der Kinder über die Zeit hinweg sind bzw. wie stabil das System Schule insgesamt ist.
3. Entwicklungsverläufe bei Ju./Mä. unterschiedlich? (es kann erwatet werden, dass sich die Verwendung von Kategorien bei Mädchen früher differenziert)
4. Wechselwirkungen zwischen dem Geschlecht der SchülerInnen und dem der LehrerInnen (vorgestelltes Lehrergeschlecht)
5. Wie wichtig schätzen SchülerInnen ihre Vorstellungen und deren Erfüllung für erfolgreiches Lernen ein : Nachfolgeuntersuchung hinsichtlich des Verhältnisses von eigener Leistung und Lehrerwunschbild.

Auch sollen unterschiedliche Fragestellungen erprobt werden::
Wie wünschst du dir deine LehrerInnen?
Wie müssen Lehrkräfte sein, damit du gut und viel lernen kannst
Wie müssen Lehrkräfte sein, damit es dir in der Schule gut
5 Diskussion/Folgerungen
vor allem hinsichtlich der Frage, ob es universale Bedürfnisse von SchülerInnen gibt, so dass diese Variablen nicht nur ein günstiges Erzieherverhalten darstellen, sondern auch ein von SchülerInnen gewünschtes - das geeignet ist, ein Sich-Wohlfühlen als Basis für Motivation/Leistungsbereitschaft zu schaffen. Deshalb sollen die Rogersvariablen (Akzeptanz, Verständnis, Kongruenz) noch stärker als bisher berücksichtigt werden.
6 zit. Literatur

Beishuizen, J.J., E. Hof, C.M van Putten, S.Bouwmeester & J.J. Asscher (2001). Students and teachers cognitions about good teachers. . In: British Journal of Educational Psychology 71, 185-201.

Jules, Vena & Peter Kutnick (1997). Student perceptions of a good teacher: the gender perspective. In: British Journal of Educational Psychology 67, 497-511.

Kutnick, Peter & Vena Jules (1993). Pupils perceptions of a good teacher: a developmental perspective from Trinidad and Tobago. In: British Jorunal of Educational Psychology 63, 400-413.